Mittwoch, 19. September 2007

17. September: Flucht

Nicole hat wieder das gemacht, was sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht. Sie hat das, was sie angefangen hat, nicht zu Ende geführt. Wie hat sie geschwärmt vom eigenen Fotostudio, die Kamera gestreichelt und ihr Baby genannt, das sie nie hergeben würde. Wie oft hat sie mir geschrieben, dass das mit dem Fotografieren doch das Einzige sei, was ihr noch geblieben ist, und dass sie es nie aufgeben würde. Ihren Weg wollte sie durchgehen, nie wieder weglaufen, immer ehrlich und verlässlich sein. Wie stolz war sie darauf, und wie haben ihre Augen geleuchtet. Ich hab ihr den Weg geebnet, alles besorgt, was sie benötigte, sie hätte nur anfangen müssen. Doch sie lief wieder davon.

Nie verheiratet, zwei Kinder, für keines das Sorgerecht. Keiner ihrer Partner ist bei ihr geblieben, richtige Freunde hat sie nicht. Wer länger mit ihr zu tun hat, lernt sie zwangsläufig kennen, die Ungereimtheiten in ihren Erzählungen, und geht dann auf Distanz. Keine Berufsausbildung, erst seit diesem Monat eine eigene Wohnung. Ein wahrlich sinnvoll verbrachtes Leben. Aber wie kann es auch anders sein, wenn man die Realität verdrängt und lieber in der scheinbar sorgenfreien Lügenwelt lebt?

Für Nicole:
Nicole, wach endlich auf, Wege sind dazu da, dass man sie zu Ende geht, auch wenn sie steinig sind. Wir waren Freunde, obwohl Du Freundschaft anders - mehr einseitig auf Deinen Vorteil bedacht - siehst als ich. Hab ich Dich jemals im Stich gelassen? Hab ich jemals unsere Freundschaft missbraucht? Stimmt irgend etwas von dem nicht, was ich hier schreibe? Warum drohst Du mir damit, dass ich Dich jetzt kennen lernen werde? Ich kenne Dich doch, und ich kenne Dich besser, als Dir lieb ist, denn ich kenne auch Deine Schwächen. Und das macht Dir wohl Angst. Schwächen gehören zum Leben, und nur der ist stark, der seine Schwächen zugibt. Ich habe es aus dem Alkohol geschafft, willst Du es nicht aus Deiner Märchenwelt schaffen? Was hindert Dich daran? Bin ich deshalb schlecht, weil ich Dir die ungeschminkte Wahrheit sage? Oder regt sich dadurch Dein Gewissen? Läufst Du nicht vor Dir selbst weg? Denke einmal darüber nach.